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Walter & Marianne Kaiser

AUFFORDERUNG ZUR LEBENSFREUDE


Zürcher Woche 16. Dezember 1966 (Nr. 50)

Zürich - Tanzschulen

Walter Kaisers neue Tanzschule

"Das Absenken ist zwar noch schlecht", empfindet Kaiser, "aber aus dem Schritt kann man was machen."

Der so Beurteilende hat sein gutes Recht, herumzunörgeln, Walter Kaiser, 36, ist zweifellos der erfolgreichste Gesellschaftstänzer unserer Nation, war letztes Jahr Weltmeister in dieser Disziplin und gebietet über sechs vollamtliche Tanzausbildner. Vor allem aber: Kaiser hat vor Kurzem eine Tanzschule eröffnet, die den verwöhntesten, modernsten und raffiniertesten Ansprüchen gerecht werden kann.

Hier wurde mit 200 000 Franken Inneneinrichtung all das zusammengekauft, was einem internationalen Pilgerort für Gesellschaftstanzende die technische Weihe verleihen muss: gefederter Holzboden, um die Beinmuskeln weniger rasch zu ermüden, ausgeklügelte Stereoanlage, die auch absolutem Gehör zu entsprechen vermag, und eine Beleuchtungsmaschinerie, welche sowohl den Kristallwalzer als auch den Kriminaltango ins partiturgerechte Licht zu rücken vermag. Kurzum: eine Tanzakademie, wie man sie sich immer erträumte, während man sich in wartsaalähnlichen Kurslokalen über die ersten Tanzversuche und vor allem über sein fahles Aussehen im grossen Wandspiegel ärgerte.

"Am Abend", versichert Kaiser, "sieht meine neue Schule noch freundlicher aus. Ich stelle rund dreissig Tischchen auf, stelle Kerzen darauf und organisiere für meine Schüler sogenannte Tanzparties, die vor allem dazu dienen, das Gelernte in fröhlichem Zusammensein zu vertiefen. Gegen Mitternacht mache ich immer Schluss."

Viele Kaiser-Kunden sind nämlich Jugendliche. Sie kämen schon mit vierzehn Jahren, erklärt der ehemalige Weltmeister, und diese versuche er im Laufe des Kurses auch mit den wesentlichsten Anstandsregeln bekannt zu machen. "Ich bespreche beispielsweise, wie man sich gegenseitig vorstellt, wie eine Dame korrekt auf einem Stuhl sitzt, oder auf welche Art der Kavalier seine Partnerin auf ihrem Platz zurückbegleitet. In einer späteren Phase möchte ich meine Schüler auch in Bekleidungs- oder Kosmetikfragen beraten und so allmählich zu einem richtigen Jugendzentrum werden."

In Kaisers Tanzzentrale trifft man indes nicht nur Mittelschüler und Lehrtöchter. Es kommen Studenten ("haben gewisse Hemmungen für die allerneuesten Tänze, weil diese wenig System aufweisen") und ältliche Leute ("fühlen sich bei den modernen Beat-Rhythmen unsicher, weil ihnen solchartige Ausbrüche fremd vorkommen") und Tanzlehrer ("um sich über neueste Moderichtungen zu informieren") und vor allem auch Turnieramateure, welche häufig für einige Tage nach Zürich dislozieren, um sich bei Kaiser den letzten Schliff für allerhöchste Tanzauszeichnungen zu holen.

Und niemand würde vermuten, dass dieser renommierte Meister des Tanzes eigentlich hätte Konditormeister werden sollen. Sein Vater machte damals die beste Patisserie in Murten und verlangte von seinem Walter, sich für die künftige Geschäftübernahme frühzeitig vorzubereiten. Des Jungen Begeisterung für Zuckertörtchen war indes gering. Um so massiver seine Neigung für alles, was mit Tanzen zu tun hatte. Zum Leidwesen des Vaters waren weder Sprüngli noch Sacher, sondern Fred Astair sein Idol, und jede freie Minute versuchte er dem Vorbild nachzueifern.

So endete Kaiser schliesslich im Ursprungsland des Gesellschaftstanzes; in England. Er besuchte einen Kurs für Turniertanz, erwarb sich ein entsprechendes Diplom und gewann einige kleinere Wettkämpfe.

Kaiser: "Leider kann man sich mit Gesellschaftstanz keineswegs sein Brot verdienen, wenn man nicht zu den Weltbesten gehört. Ich übernahm deshalb die Leitung einer Schule in Winterthur und trainierte nach Feierabend und am Sonntag und in den Ferien."

Er hatte inzwischen (1958) in seinem eigenen Unterricht ein Mädchen entdeckt, die zwar Anfängerin war, aber sehr begabt für das Tanzen schien. Mit ihr zusammen übte er während sechs Jahren, bis er schliesslich im 1965 den Weltmeistertitel errang.

Dieser Titel beinhaltete Jahre der Überwindung und des Verzichtes, erinnert sich Kaiser, und er unterstreicht mit geballten Fäusten, dass sein Erfolg einer Olympiamedaille gleichzustellen ist. "Wie seriöse Sportler mussten wir während rund sechs Jahren auf alles verzichten, um in peinlicher Kleinarbeit allmählich zur Weltelite emporzutanzen. Wir rauchten nicht und tranken nicht und mussten jeden nichtberuflichen Kontakt vermeiden. Und vor allem: Nach dem achtstündigen Kontakt mit Anfängern hatte ich nach Feierabend immer schreckliche Mühe, wieder in Form zu kommen."

Einmal zu Weltehren gekommen, hat Walter Kaiser seine Ziele neu gesteckt. Gab er früher Stunden, um Turniertanzen zu können, so tanzt er heute noch gelegentlich Turniere, um weiterhin erfolgreich Stunden geben zu können. Kaiser konzentrierte sich darauf, eine völlig neuartige Konzeption von Tanzunterricht zu realisieren, und das ist ihm mit der selben Meisterschaft gelungen, die seine Turnierkarriere kennzeichnet.

Man erinnere sich früherer Tanzkurse: Alle Herren sitzen auf einer Bank mit gespanntem Blick. Auf der gegenüberliegenden Seite des Saales einige wenige Mädchen. Auf das Zeichen "Angagieren, bitte", rasen die männlichen Unterrichtsnehmer auf die vereinzelten Töchter los. Einige gewannen, die schnellsten nämlich. Die langsameren übten den Schritt allein und hofften, beim nächsten Massenstart mehr Glück zu haben.

Bei Kaiser, im neuen Paradelokal, hat man heute das Gefühl, an einer Party von Tanzbegeisterten zu sein: Erstens hat es genügend Mädchen ("Das Geheimnis jedes erfolgreichen Tanzlehrers) und zweitens herrscht eine animierte Atmosphäre. Man diskutiert und tanzt und plaudert und übt.

"Und der Höhepunkt meiner Bestrebungen", strahlt Kaiser mit berechtigter Freude, "haben wir abends, wenn Mittelschüler oder Ehepaare, Vereinigungen oder Studenten gemütlich in meiner Tanzschule zusammensitzen. Es gibt auch heute noch enorm viele Leute, die gerne tanzen und im Gedränge der meisten Tanzlokale gar nicht mehr dazu kommen. Hier kann meine Neueröffnung eine Lücke schliessen."

Und die sechs Tanzlehrer in Kaisers Schule lernen natürlich nicht nur die Tanzschritte von Englischwalzern und wilden Tangos, sondern auch das kunstgerechte Körperverrenken und Kopfwackeln des modernen Beat. ("Auch hier kommt das Grundprinzip jeglichen Tanzes zum Ausdruck: die Lebensfreude und die Erotik.)

Und als Beweis dafür, dass Kaisers bemühen einem wirklichen Bedürfnis entsprochen hat, genügt es, an seinen zweimal jährlich stattfindenden "Kaiser-Ball" im Kongresshaus zu gehen. Neben weltbesten Attraktionen findet man dort rund 1200 Personen jeglichen Alters, die vor allem durch eines auffallen, "dass sie viel besser tanzen können als gewöhnliche Ballbesucher."

Beat Curti



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