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EINDRÜCKE AUS AMERIKA

Aus "Gesammelte Werke in zeitlicher Folge"

von Max Frisch

Suhrkamp Taschenbuch

...Neger zu sehen, wenn sie tanzen, nicht bloss beim ersten - , auch noch beim zehntenmal stehen wir wie gelähmt vor Staunen, selig und traurig im gleichen Mass; das Gefühl, ausgestossen zu sein aus einem Paradies, aber Nähe dieses Paradieses sehen zu dürfen, die Faszination von einer schmerzhaften Freude, einer Freude an der menschlichen Kreatur, schmerzhaft, weil, von spärlichen Ausnahmen abgesehen, uns eine solche Kongruenz mit sich selbst nie wieder möglich sein wird, das war für mich wenigstens der Kern des immer wiederholten Erlebnisses, Neger zu sehen, wenn sie tanzen.

Ich meine nicht Tänzer auf der Bühne, sondern einen Saal voll Burschen und Mädchen, die tagsüber einen Lift bedienen, Schuhe putzen, Zeitungen vertragen oder einen Autobus führen, jedenfalls keine Künstler, und doch ist es nicht anders zu nennen, wenn sie tanzen, als Kunst. Hier nämlich, im Gegensatz zum üblichen Tanz der Weissen, wird nicht getanzt, um sich aneinander schmiegen zu dürfen; sie tanzen, um etwas darzustellen. Ihre Bewegungen sind nicht Ersatz, sondern Ausdruck. Einander umkreisend, ohne sich anzurühren, werben und kämpfen die beiden Geschlechter, Mann und Weib. Das Mädchen kreiselt um die eigene Achse, ein weisser Mund voll tonlosem Lachen, zwei Füsse voll Improvisation. Der Mann, ohne das Mädchen anzublicken, strahlt ebenfalls ins Leere, während seine Hosenbeine flattern, er steppt oder klatscht mit den Händen und beide haben jenes Beziehungslos-Zerstreute von spielenden Kindern, die nur den Ball sehen, nicht den Partner.

Eros als Ekstase zweier Einsamkeiten; plötzlich springt der Funke über, er fasst sie blitzhaft, und das Mädchen, nur von seiner flachen Hand getragen, lässt sich in grossem Schwung rücklings fast auf das Parkett; dann hebt er sie empor, dass ihr Kopf fast an die Saaldecke kommt, ihr Arm macht dazu eine triumphale Gebärde, triumphal aus purer Freude, ein Geschöpf zu sein, ein Zimmermädchen und Negerin dazu, ja, aber die Gebärde hat eine natürliche und von einer Schauspielerin kaum wiederholbare Grazie körperlichen Selbstbewusstseins, dass es ein Jubel ist, eine Fanfare ohne Ton, eine Geste, die königlich ist.

Der Unterschied zum Tanz der Weissen, deren Gewoge im Dämmerschummerschein, oft genug wie eine Massenpaarung aussieht, ist aber nicht bloss ein Unterschied der Temperamente, sondern ein wesentlicher; hier bei den Negern, wie gesagt, ist Tanzen nicht ein schwüles Surrogat für verhinderte Paarung, sondern eine Zeremonie, die sich selbst genug ist, eine Stilisierung, alles ist zum lauteren Spiel erhöht, ein tänzerisches Loblied auf die Erschaffung der Geschlechter, kultisch wie weniges in einer modernen Grossstadt.

Kaum verstummt die Musik, trennen sich die Paare völlig unpersönlich; meistens wird das Mädchen kaum zum Tischlein begleitet. Beiden ging es nicht um eine private Annäherung, sondern um Tanz, der denn auch, wo er einem Paar besonders gelingt, nicht selten eine begeisterte Zuschauerschaft versammelt, einen Ring von Begeisterten mit klatschenden Händen, um die Ekstase zu immer wilderen, dabei immer präzisen Rhythmen zu steigern; dem Tänzer schwindelt es schon, das Mädchen tanzt eine Weile allein, ein anderer springt in den Kreis, um sie an den Fingern zu fassen, zu drehen, bis sie in einer Weise ausser sich ist, die doch der Grazie nicht entbehrt, ja, eine Verzücktheit ausstrahlt, die dem Geschöpf etwas Erleuchtetes gibt, und jetzt ist es fast still, die Jazzband spielt ohne Klang, nur eine Trommel vibriert, ein dritter Tänzer wird verbraucht, ein vierter, das junge Weib ist nicht erschöpft. Umjubelt wie eine Spenderin oder Siegerin, lachend mit ihrem ganzen weissen Gebiss, unbefangen wie ein Kind, ein glückliches, das auf dem Karussell hat fahren dürfen und noch voll Seligkeit ist, geht die junge Negerin zwischen unseren Tischlein hinaus, um ihren Puder nachzutupfen. Kaum je in diesem Lokal, das ich stets wieder besuchte, habe ich einen betrunkenen Menschen gesehen: sie haben es, wenn sie tanzen können, nicht nötig...

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