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GEDANKEN EINER FRUSTRIERTEN ZUSCHAUERIN

von Evelyne Scherer

So vielfarbig wie die Kleider der Tänzerinnen, so verschieden sind die Menschen, die sich auf der Fläche präsentieren.

Alle wollen Tanzsportlerinnen und Tanzsportler sein, darüber sind sie sich, glaube ich, einig. Was nicht ganz klar ist: Was will man in den Vordergrund stellen? Den Tanz? Den Sport? Das Vorführen einer Freizeitbeschäftigung zu zweit ? Das Bessersein als die Konkurrenz? Die Kunst? Das Zeigen schöner Kleider? Die Musik? Den Applaus des Publikums?

Das Gewinnerpaar sollte eigentlich im Idealfall alles und noch viel mehr in seiner Darbietung vereinen. Was für Ansprüche!

Was Manchen nicht klar zu sein scheint ist, dass der Tanzsport nicht nur Talent braucht, sondern Einsatz, körperlichen, psychischen, zeitlichen und finanziellen. Man braucht Freude, Durchhaltewillen, Zielstrebigkeit, einen durchdachten Trainingsplan, Selbstüberwindung, Übung im Trainingssaal unter Ausschluss der Öffentlichkeit, viel Verständnis für die Partnerin oder den Partner, aber auch so oft wie möglich Übung an Turnieren, Beobachten der guten Paare entweder an Turnieren oder zuhause am Video und mentales Training.

Im Trainingssaal fällt das Tanzen oft um einiges leichter, man muss nicht durchhalten, wenn man es nicht will. Man kann abbrechen, etwas wiederholen, eine Bewegung verbessern, mit dem Gegenüber einen Ablauf besprechen. Am Turnier geht das nicht.

Mit jedem Turnier, das man nicht tanzt, bringt man sich um die Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln. Das Durchhalte-Training fehlt, wenn man nur an einigen wenigen Turnieren teilnimmt, oder nur erscheint, wenn's draussen regnet. Zudem schadet man nicht nur sich selber, sondern auch den andern Turnierpaaren und den Veranstaltern.

Im Trainingssaal fehlen viele Komponenten: Die Turnierkleider, die die Bewegungen unterstützen oder hemmen (je nach Können und Erfahrung der Schneiderin), die Schminke, die angeklebten Wimpern und Fingernägel, die einen mehr stören als helfen, denn sie bringen ausser manchmal Ärger gar kein einziges Marks, die neuen Schuhe, die drücken, der Frack und der Hemdkragen, die einengen, die "wohlwollenden" oder die "blinden" Wertungsrichter, die Konkurrenten, denen man gerne aus dem Weg geht, die ungewohnte Tanzflächengrösse, der Tanzboden, der sich im Training so ganz anders anfühlt, die Musik, die man nicht selber ausgesucht hat und die nicht immer motiviert. Man muss "auf Knopfdruck" so funktionieren, dass alle Umstehenden und Umsitzenden mit einem zufrieden sind.

Wo bleiben die Turnierpaare, die das fleissig und mit Liebe zu ihrer schliesslich freiwillig ausgesuchten Freizeitbeschäftigung trainieren? Warum gibt es Anlässe, an denen gleich viele Wertungsrichter wie Paare das Parkett betreten? Wo ist der sportliche Geist, der sich an den Anderen, den vielleicht auch Stärkeren messen will? Warum werden nicht alle GPS-Turniere besucht? Warum nur die Veranstaltungen, bei denen man schon bekannt ist? Warum "flüchten" die unterklassigen Paare nach ihrem Auftritt statt zu beobachten, wie es die Besseren tun? Die Liste der "Warum...?" könnte man noch erweitern!

Diesen Mangel an Trainingseinheiten am wichtigen Ort des Geschehens kann man als Resultat des Gebotenen bei Paaren beobachten, die eigentlich im Trainingssaal genau so auftreten wie an Turnieren. Die Musik wird als Hintergrundgeräusch missbraucht. Dass man das Publikum mit einbeziehen und ihm für das Klatschen danken sollte, kommt diesen Paaren leider oft nicht in den Sinn. Sie verbeugen sich, wenn überhaupt, mit der hinteren Front gegen die Zuschauertische. Es gibt auch welche, die nach "getaner Arbeit" mit oder ohne Partnerin von der Fläche davonlaufen.

Liebe Paare, über das Vorstellen, das Verbeugen, das Präsentieren könnte man sich Gedanken machen und es üben! Die Schüler-und Jugendpaare, auch andere Sportler tun es ebenso. Beobachtet das Geschehen im Kunstturnen, Eiskunstlaufen, Eistanzen, Zirkus, Ballett ...

Und noch etwas:

Dem Fernsehmoderator, dem Schauspieler, dem Clown, jedem der etwas darzustellen hat, sieht man das Zahnweh, die Probleme mit der Familie, den Ärger an der Arbeitsstelle und sonstiges Unwohlsein nicht an, das Publikum will etwas Erbauliches sehen, die Probleme vergessen. Und auch als Turniertänzer könnte man Freude schenken. Ein freundliches Lächeln glitzert mehr und kostet weniger als die Strasssteine, erhöht aber die Zuguck-und Applaudier-Lust des Zuschauers, der von einem Paar zur Kenntnis genommen, angesprochen und unterhalten werden möchte.

An dieser Stelle möchte ich den Turnierpaaren, egal in welcher Klasse sie auch tanzen, ob Standard oder Latein, ob jung oder alt, die mich und alle anderen aufmerksamen Zuschauer mit ihrer Darbietung, ihrer Ausstrahlung und Tanzlust erfreuen, wieder einmal herzlichst danken!

Und für die nächste Saison möchte ich allen Beteiligten Folgendes wünschen:

- Effiziente und zufriedenstellende Trainingseinheiten

- Tanzfreudige, begeisterte und begeisternde Paare

- Ein Publikum, das vom Tanzen angesteckt wird und deswegen zahlreicher erscheint

- Zufriedene Turnierorganisatoren

Allen viel Glück auf dem Tanzparkett!

Eure Evelyne Scherer

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