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Walter Kaiser

Statt Konditor wurde er der Schweizer Tanz-Kaiser


Sonntagsblick 22. Juni 1969

Er wurde Weltmeister der Berufstänzer. Aber der Preis dafür war hoch. Er gewann zwar alle Titel, die es zu gewinnen gab, aber er verlor seine Frau.

Ein Bericht von Walter Schäfer

Am nächsten Samstag werden sich im Zürcher Kongresshaus Eleganz und Schönheit, Rhythmus und Grazie ein Stelldichein geben: zum erstemal nämlich finden in der Schweiz die Europameisterschaften in der galantesten Sportart der Welt, dem Turniertanzen statt. Rund achtzehn Berufstänzerpaare werden sich auf dem Parkett zu den Klängen aufreizender Musik in den lateinamerikanischen Tänzen messen.

Ein Mann im grossen, festlich geschmückten Saal wird beim Anblick der kreisenden Pärchen wehmütigen Gedanken nachhängen: es ist Walter Kaiser (39), der Schweiz bekanntester Tanzlehrer. Er, der noch im Jahre 1965 selbst auf dem Parkett stand und als Welt- und Europameister Triumphe feierte, bevor er – auf dem Höhepunkt seines Könnens – den Berufstanzsport aufgab.

Seiner Leidenschaft aber blieb er treu: Als Organisator und Kampfrichter hat er sich auch diesmal wieder zur Verfügung gestellt.

Der gleiche Mann, der nach dem Willen seines Vaters ein Konditoreigeschäft hätte übernehmen sollen, besitzt heute das modernst eingerichtete Tanzstudio unseres Landes und ist als Fernseh-Tanzlehrer weitherum bekannt. Seine Geheimwaffe, die ihm Ruhm und Erfolg brachte, heisst harte Arbeit. Wie viel Schweiss es kostete, sich vom Gelegenheits-Stepptänzer zum „Tanz-Kaiser“ durchzukämpfen, lesen Sie im folgenden Bericht.


Nur wirkliche Spitzenkönner sind in der Lage, das anstrengende Pensum einer international besetzten Meisterschaft im Berufstanzsport ohne konditionelle Schwächen durchzustehen. Zwei und mehr Kilos Gewichtverlust sind bei den „Athleten des Parketts“ während einer einzigen Veranstaltung keine Seltenheit.

Nur wer jahrelang eisern trainiert, hat die Chance, über die ermüdenden Vor- und Zwischenrunden bis in den alles entscheidenden Final vorzustossen.

Auch Walter Kaiser musste in seinen ersten Jahren als Berufstänzer erfahren, wie hart der Weg zur Spitze auch in dieser, scheinbar mühelos erlernbaren Sportart ist:

„Schon nach wenigen Minuten waren meine Partnerin und ich jeweils patschnass von Schweiss. Manchmal ging uns richtiggehend der Schnauf aus.

Mitten im Gewirr der kreisenden Paare mussten wir ausserdem noch darauf achten, unsere Paradefiguren, die enorm viel Platz brauchten, wirkungsvoll einzustreuen.

Auch die nervliche Belastung spielte also beim Turniertanz eine manchmal sogar entscheidende Rolle.


In jedem Fall sind Kondition und Konzentration die wichtigsten Voraussetzungen für eine gute Platzierung.“

Genau wie beim Eiskunstlauf braucht es auch im Berufstanzsport eine gewissen Zeit, bis ein Paar seine Ausstrahlung und seinen Stil auf die Jury übertragen kann.

Die Resultate, die Walter Kaiser mit seiner inzwischen von ihm geschiedenen Ehefrau und Partnerin Marianne Kopf an internationalen Meisterschaften erreichte, beweisen es:

Im Jahre 1960 schied das Paar an den Weltmeisterschaften schon in der erste Runde aus. Niemand schenkte den Kaisers aus der Schweiz Beachtung. 1962 erreichten die beiden Profitänzer beim gleichen Turnier bereits den Halbfinal.

Ein Jahr später hatten sie sich endgültig durchgesetzt: Sie standen zum ersten Mal in ihrer Karriere im Final einer Weltmeisterschaft.

Das Paar aus einem Land, in dem der Tanzsport auch heute noch wenig Popularität aufweist, hatte sich bei Gegnern und Jury bleibenden Respekt verschafft.

Die grosse Stunde der „Tanz-Kaiser“ aber schlug im Jahre 1965: Unwiderstehlich gewannen sie jedes grosse Turnier in den lateinamerikanischen Tänzen.

Die eindrücklichsten Erfolge: Welt- und Europameister. Was folgte, war ein Triumphzug der Sieger. Einladungen jagten sich, das Schweizer Fernsehen engagierte das tanzende Ehepaar für einen TV-Tanzkurs und an den internationalen Tanzlehrerkongressen riss man sich um den Rat der schweizerischen Naturtalente.

Wie lange die Ehe von Walter und Marianne einer solchen Belastung standhalten würde, blieb nur eine Frage der Zeit.

1966 war es soweit: Die beiden Partner, deren Bewegungen auf dem Parkett bis ins kleinste harmonisch aufeinander abgestimmt waren, verstanden sich auf dem rauhen Boden der Wirklichkeit nicht mehr. Sie trennten sich.

Walter Kaiser versuchte mit einer neuen Partnerin an seine internationalen Erfolge anzuknüpfen. Vergeblich. Darauf zog er die Konsequenzen und zog sich vom aktiven Turniertanzsport zurück.

Der Tanzlehrer bereut seinen Rücktritt nicht: „Wenn ich daran denke, welche schönen Erlebnisse mir dieser Sport gab, so kann ich nur dankbar sein.

Dabei war es gar nicht selbstverständlich, dass ich es einmal so weit bringen würde: Mein Vater besass in Murten eine Konditorei, die ich später übernehmen sollte.


Für meine Tanzwut hatte er anfänglich gar kein Verständnis. In der Zeit kurz nach dem zweiten Weltkrieg begann ich mich nämlich immer mehr für den Stepp-Tanz zu begeistern. Einen Lehrer hatte ich damals noch nicht.

So brachte ich mir die Schritte selber bei. Mit Stepp-Tanzen verdiente ich mir auch mein Taschengeld: als Einzelnummer bei den damals so beliebten „Ja-Ka-Mi“- (Jeder-kann-mitmachen) Anlässen.

Natürlich besuchte ich auch den obligaten Tanzkurs. Aber ich fand das Ganze furchtbar steif und komisch.“

Die Rekrutenschule absolvierte Walter Kaiser als strammer Füsilier. Dann aber zog es ihn wieder zu dem zwar ebenso mit Drill verbundenen, aber weniger zackigen Tanzen hin.

Beim Stadttheater Zürich liess er einen Talenttest über sich ergehen. Das Resultat: Nicht speziell talentiert, aber für eine komische Nummer durchaus geeignet.

Walter Kaiser: „Ich ging daraufhin nach London, um mich im Turniertanz ausbilden zu lassen. Das Geld für das Studium verdiente ich mir als sogenannter „Taxi dancer“.

Ich stellte mich also tanzfreudigen Damen gegen Entgelt zum Training zur Verfügung.

Nicht selten passierte es, dass ich dann in einem etwas schäbigen Anzug von einem livrierten Chauffeur mit Rolls Royce abgeholt wurde, um mit einer exaltierten Lady aus der Gesellschaft Slow-Fox zu tanzen.

Gegen Ende meines Londoner Aufenthaltes bestand ich mein Tanzlehrerdiplom mit Auszeichnung.“

Als Assistent arbeitete Walter Kaiser darauf in Zürich. Und hier fand er dann auch seine spätere Frau Marianne, mit der er so viele Erfolge erringen sollte.

Seit kurzem ist Walter Kaiser wieder verheiratet: Seine neue Partnerin für das Leben zu zweit heisst wieder Marianne.

Nach den Europameisterschaften, bei denen die Schweiz durch die beiden Paare Waldemar und Erika Santi aus Zürich und Hubert und Irène Scharmer aus Baden vertreten sein wird, wird sich das Ehepaar Kaiser wieder ganz der eigenen Tanzschule widmen.

Für das nächste Jahr ist auch ein neuer Fernseh-Tanzkurs geplant. Die Zuschauer werden sich nur optisch umgewöhnen müssen: Neben Walter, dem Naturtalent aus Murten wird ein neues Gesicht am Bildschirm zu sehen sein.

Doch es wird nach wie vor heissen: Walter und Marianne Kaiser bitten zum Tanz.



Es ist nicht billig genug!

Internationale Tanzturniere gelten bei fast allen Fernsehstudios in Europa als „gefundenes Fressen“ für eine gelungene Übertragung. Noch im letzten Jahr wurde ein solches Turnier gleichzeitig von 15 der Eurovision und Intervision angeschlossenen Fernsehstationen ausgestrahlt. Hunderttausende von begeisterten Zuschauern sassen bis weit nach Mitternacht vor dem Bildschirm.

Am 28. Juni finden zum erstenmal in der Schweiz die Europameisterschaften der Professionals in den lateinamerikanischen Tänzen statt.

Aber was für ausländische TV-Studios recht war, ist den Leuten vom Schweizer Fernsehen nicht billig genug! Eine Übertragung des Turniers ist nicht vorgesehen. Die Gründe sind fadenscheinig: Man verschanzt sich hinter der Behauptung vom mangelnden Interesse des Publikums, man klagt darüber, keinen Übertragungswagen für Farbfernsehen zur Verfügung zu haben, man jammert über fehlende Geldmittel. Die wahre Stimmung im Studio aber wird von einer unbedeutenden Sekretärin ausgedrückt: „Tanzturnier? Das interessiert doch niemand!“

Für Sie, die Sie sich eventuell doch dafür interessieren, hat Sonntags-BLICK versucht, wenigstens einen Teil der Atmosphäre zu vermitteln, die eine Fernsehübertragung von den Tanz-Europameisterschaften direkt in Ihr Haus hätte bringen können.






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