„Die taktile, die körperliche Form der Kommunikation ist in unserer Kultur völlig unterentwickelt“, findet Rolf Schneider, und man meint zu spüren, dass die Luft um ihn herum tatsächlich vibriert, wenn er von seiner Leidenschaft für den Tanz erzählt. „Dieser Moment, in dem die gemeinsame Bewegung ins Kontemplative kippt, da erst fängt das eigentliche Tanzen an. Für diesen Moment tanze ich, und für diesen Moment ist es natürlich auch unabdingbar, dass man eine gewisse Technik so beherrscht, dass man nicht mehr durch andere Gedanken abgelenkt wird. Wer sich zum Beispiel noch Schrittfolgen überlegen muss, erlebt das natürlich niemals in dem Masse.“
Wenn man sich in Zürich für argentinischen Tango interessiert, stösst man schon bald auf Rolf Schneider. Er war der Erste, der schon vor zwanzig Jahren Kurse anbot, in denen die frei improvisierte Urform des in seiner fest strukturierten Turnierversion ungleich bekannteren Tanzes erlernt werden konnte. Er war es auch, der in der besetzten Wohlgroth offene Tanzkurse, Practicas, anbot und Tangoabende veranstaltete, und er war es, der 1993 erstmals auf die Idee kam, eine Ferienwoche mit Workshops für Tangotänzer anzubieten, die sich inzwischen als Zürcher Tangowoche zum internationalen Festival gemausert hat.
Ein Tänzer war Rolf Schneider aber schon lange vorher, er lässt sich deshalb nicht auf seine Rolle als Vater der Zürcher Tangoszene reduzieren. Musik und Tanz faszinierten ihn schon als Kind, und als Jugendlicher sei er manchmal bis zu zehn Kilometer weit gelaufen, um irgendwo das Tanzbein schwingen zu können.
Seine Ausbildung als Flachmaler führte ihn schon in jungen Jahren als Saisonier aus Süddeutschland in die Schweiz. Den Sommer über verdiente er sich hier das Geld für ein Studium als Bauingenieur und Architekt in München. In der Schweiz lernte er auch seinen tänzerischen Mentor Walter Kaiser kennen, der ihn zu einer Karriere als Turniertänzer anspornte. In dessen Tanzschule im Zürcher Seefeld traf er schliesslich auch seine Tanzpartnerin und spätere Frau Anita.
Rolf Schneider hat unzählige Geschichten auf Lager – so hat er als Teenager in München Erich Kästners antike Möbelgruppe restauriert, im Winterthur der späten Fünfzigerjahre mit den Konkubinen reicher Fabrikanten getanzt und in Südafrika als Bauingenieur viel Geld verdient. Aber noch lieber als Standardtänzer Erfolge gefeiert. Das Apartheid-Regime war der Grund, weshalb er nach der Geburt seines Sohnes zurück in die Schweiz kam: „In einem solchen Umfeld aufzuwachsen, verdirbt den Charakter“, ist er heute noch überzeugt. Doch in der Schweiz steckte das Baugewerbe Anfang der Siebzigerjahre in der Krise. Schneider, der nicht eingebürgert war, hätte zurück nach Deutschland gehen müssen, um Arbeit zu finden. Damals entschied er sich, seine Passion zum Beruf zu machen, und wurde Tanzlehrer. Mittlerweile gehört Schneider auch als Trainer vieler erfolgreicher Turnierpaare schon seit Jahrzehnten zu den Koryphäen im Land.
Den argentinischen Tango entdeckte er zu Beginn der Achtzigerjahre, gewissermassen im Auftrag des ASVZ. „Die ersten Schritte habe ich mir aus alten Filmen abgeguckt und von den Videos argentinischer Tangoshows“. Doch das genügte seiner Forscherseele nicht. Als einer der ersten europäischen Tänzer überhaupt flog er nach Buenos Aires und liess sich von den alten Meistern in die Kunst der Körpersprache einführen; vor allem aber von den Tänzern in den Practicas und Milongas – so nennt man auch in Zürich die Lokale, in denen Tango getanzt wird.
Die erste Tangowoche sollte 1993 in Griechenland stattfinden, musste dann aber mangels Teilnehmenden abgesagt werden. Ein Jahr später trafen sich im Tessin schon dreissig Tangoverrückte zum gemeinsamen Lernen, und ab 1995 etablierte sich die Tangowoche in Zug. Seit 2001 kommen die Tangueros an die Limmat; im vergangenen Sommer rund sechshundert.
Ausgerechnet im Zehn-Jahr-Jubiläum muss man aus organisatorischen Gründen – einer der Veranstalter zog sich kurzfristig zurück – etwas kürzer treten. Aber Schneider hofft, ab 2006 wieder ergänzende Veranstaltungen, Vorträge, Lesungen und Filme ausschreiben zu können.
Obwohl er zurzeit natürlich vollumfänglich mit der diesjährigen Tangowoche beschäftigt ist, denkt Schneider bereits weiter: Er will die Freiheit der Improvisation, die im argentinischen Tango jeden Schritt in ein gemeinsames Abenteuer verwandeln kann, in die anderen Paartänze zurückbringen. „Selbst einen Paso Doble kann man zu hundert Prozent führen“, ist er überzeugt. Um diese Entwicklung zu fördern, hat Rolf Schneider die Stiftung Paartanz gegründet. Man wird also weiterhin tänzerische Innovationen von ihm erwarten dürfen. Denn Rolf Schneider ist auch in dieser Hinsicht ein Tänzer: Er steht nie still.
www.paartanz.ch |
Tangotänzer haben ein anderes Zeitverständnis: Neun Tage dauert die Zürcher Tangowoche, vom 23. Juli bis zum 31. Juli. Während dieser Zeit kann man an den verschiedensten Orten der Stadt quasi rund um die Uhr argentinischen Tango tanzen, lernen oder auch nur hören. 16 Lehrerpaare aus dem In- und Ausland unterrichten in über fünfzig Kursen Techniken und Stile auf verschiedenen Levels vom Anfänger- bis zum Profiniveau. Drei grosse Bälle mit Livemusik und drei Konzerte mit anschliessendem Tanzabend versprechen auch Nichttänzern Erlebnisse für Aug und Ohr. An allen anderen Abenden sind die verschiedenen Tangolokale der Stadt bis in die frühen Morgenstunden geöffnet.
Unser Tipp für zukünftige „Aficionados“: Im Kongresshaus und im Kaufleuten werden vor den Konzerten gratis Schnupperkurse für Neugierige angeboten (nsc).
www.tangowoche.ch |
www.tages-anzeiger.ch |