Die Schweizer Meisterschaften 2003 - Teil 2
Die Verlierer
Einige Paare sind zu gut weggekommen, andere Paare zu schlecht. Zwei Beispiele seien erwähnt, zwei Paare, die unter Wert rangiert worden sind:
1. Alfred und Silvia Schott bei den Senioren II Standard: die letztjährigen Bronze-Medaillen-Gewinner verpassten das Finale als 7. rangmässig zwar knapp, die Marks-Ausbeute im Halbfinale spricht aber eine deutliche Sprache: nur 17 Marks von 35 möglichen! Variscos zogen mit Full House ins Finale ein, weitere 4 Finalisten mit 25 - 32 Marks. Dabei machten Schotts einen gut vorbereiteten Eindruck mit weichen, schwungvollen Aktionen. Taktprobleme: ja, hatten die meisten anderen Paare aber in gleichem Mass, sporadische Lücken: ja, dito, Paarharmonie: bewegungstechnisch o.k., optisch problematischer. Und wahrscheinlich hat ihnen das neben der diskutablen Haltung den Finalplatz gekostet. Ist einer der Partner gross und der andere deutlich kleiner, gibt es auf den ersten Blick zwei Möglichkeiten: 1. der Grosse macht sich kleiner oder 2. der Kleine macht sich grösser. Schotts haben sich für die 1. Möglichkeit entschieden und damit die schlechtere Variante gewählt, die sich beim Herrn in einem manchmal "sitzend" wirkenden Eindruck niederschlägt. Das hemmt einen optimalen Bewegungsablauf. Trotzdem hätten sie eindeutig ins Finale gehört!
Alfred und Silvia Schott
2. Frédéric Havez und Letizia Bevilacqua bei der Hauptklasse Latein: Die neue Paarzusammensetzung hinterliess von Anfang an einen blendenden Eindruck: Rhythmisch, harmonisch, ausgeglichen, mit Ausstrahlung, Individualität und Qualität, ausgetanzt, Latin, kein Tanz fällt ab, ein tolles Paar! Platz 1 liegt nicht drin, Sven Ninnemann und Fabienne Liechti sind eine Klasse für sich, aber Havez/Bevilacqua wären, trotz der grossen individuellen Klasse jedes weiteren Finalisten ohne Weiteres für einen Podestplatz in Frage gekommen.
Frédéric Havez und Letizia Bevilacqua
Die Höchstleistungen
Thomas Szegö und Corinne Roost, unsere hervorragenden 10 Tanz-Schweizer Meister, hätten eigentlich einen Sonderpreis verdient: Samstag alle Standardrunden getanzt, Sonntag alle Lateinrunden getanzt (ausser dem Hoffnungslauf, natürlich). Erste Runde am Samstag: 15.30 Uhr, Siegerehrung: 0.30 Uhr. Erste Runde am Sonntag: 11.00 Uhr, Siegerehrung: 21.30 Uhr. Dazwischen kurz ins Hotel, schlafen, rechtzeitig wieder aufstehen, sich zurechtmachen, umstellen auf Latein, ein Mammutprogramm mit insgesamt 8 Runden Tanz! 2x Podestplatz bzw. je eine Medaille in den Hauptklassen Standard (Silber) und Latein (Bronze) waren der Lohn für diesen unermüdlichen Einsatz. Wir hätten ihnen von Herzen die dritte Medaille, die Goldmedaille für den Kombi-Titel gegönnt. Leider wurde die 10-Tanz-Meisterschaft in diesem Jahr wie schon vor zwei Jahren wieder nicht ausgetragen, weder in Bern noch bei anderer Gelegenheit!
Thomas Szegö und Corinne Roost
Beinahe dieselbe Höchstleistung haben Roger Anselmi und Nadine Müller vollbracht: Sie tanzten ebenfalls in beiden Disziplinen, kamen im Standard verdient auf den 4. Platz und ertanzten sich im Latein einen guten Viertelfinal-Platz. Unschwer auszumalen, dass sie locker Vize-Schweizer Meister über 10 Tänze geworden wären. Gut gemacht!
Roger Anselmi und Nadine Müller
(Dritte, Bronzemedaille, wären übrigens Michel Gelin und Beatrice Debrunner geworden, 4....)
Michel Gelin und Beatrice Debrunner
Rücktritt 1: Fredy und Irmtraut Suhner
Keine Schweizer Meisterschaft ohne Rücktritte! Leider mussten Fredy und Irmtraut Suhner wegen gesundheitlichen Problemen des Herrn zurücktreten. Dieses äusserst erfolgreiche und sympathische Paar hat zuerst in der Hauptklasse Standard, dann bei den Senioren I Standard eine beachtliche Erfolgsbilanz aufzuweisen: 1985 Aufstieg in die Hauptklasse S Standard, 1993 erstmals Schweizer Meister bei den Senioren I. Es folgten unzählige Titel, Medaillenränge und Ehrungen. 1999 erhielten sie den Ehrenpreis der Stadt Opfikon, an der Coppa Engiadina 2002 in St. Moritz wurden sie mit dem Fairness-Preis ausgezeichnet. Auch der GPS-Gesamtsieg zeugt von ihrem grossen Einsatz und Können. Sie haben die Schweiz an vielen internationalen Turnieren und an 9 Weltmeisterschaften stets würdig vertreten. Unvergessen bleiben wird ihre Sportlichkeit und Fairness, ihre Harmonie "on and off the floor", ihre tänzerisch grosse Klasse, die weichen Schwünge, der quirlige Quickstep und nicht zuletzt ihr grosser Durchhaltewillen nach schwerer Erkrankung des Herrn.
Fredy und Irmtraut Suhner (2002)
Rücktritt 2: Michael Scherrer und Susanna Keller
Michael Scherrer und Susanna Keller haben nach einer ebenfalls erfolgreichen Karriere die Tanzschuhe an den berühmten Nagel gehängt. Rund 11 Jahre haben sie gemeinsam die schweizer Tanzszene bereichert als Standard-, Latein-und Kombipaar (alles S-Klasse), haben sich im Zeitraum 1999 - 2003 fünf Bronzemedaillen in der Hauptklasse Standard und in der Kombination ertanzt und waren national und international gern gesehene Turnierteilnehmer und Gäste. Zu Recht wurden auch sie an der Coppa Engiadina 2001 in St. Moritz mit dem Fairness-Preis ausgezeichnet. Bei ihnen wird ebenfalls ihre Sportlichkeit und Fairness, aber auch ihr unermüdlicher Einsatz, ihre Unterstützung aller Turniere, wo immer sie auch stattfanden, ihre Paareleganz, Aufmachung und Ausstrahlung, die Superposen und Promenadenstellungen und ihr sympathisches Auftreten in bester Erinnerung bleiben.
Michael Scherrer und Susanna Keller
Beiden Paaren wünschen wir für die kommende Zeit das Beste in allen Lebensbereichen.
Die Gewinner des Fairness-Preises 2001 (Scherrer/Keller)
überreichen den Gewinnern 2002 (Ehepaar Suhner) den Preis.
Standard-Stil im Jahre 2003
Vor einigen Jahren wurde von englischen und italienischen Trainern der sogenannte "italienische Stil" entwickelt, zuerst mit italienischen Paaren, dann weltumfassend. Dieser Stil hat neuen Wind in die Standard-Choreographien gebracht, neue Interpretationsmöglichkeiten, neue Schritt-und Figurenzusammensetzungen. In der Anfangseuphorie wurden z.T. sehr harte und schnelle Bewegungen und viele Tangoelemente auf alle Tänze inkl. langsamer Walzer und Slowfoxtrott übertragen, was dem Charakter der Tänze kaum je entsprach. Wildes Tanzen in allen Tänzen war angesagt. Vor 2 - 3 Jahren gab es eine Rückbesinnung, sozusagen "back to the roots" - zurück zu den Wurzeln, unter Beibehaltung der neuen Erkenntnisse und der sinnvollen neuen Elemente, sodass der Charakter der Tänze jetzt wieder gewährleistet ist. Das Standardtanzen präsentiert sich heute wieder als äusserst attraktive Bewegungsform, ein Muss für Ästheten und Harmonie Anstrebende.
Olivier Haller und Karine Jaton
Tanzen trotz Musik oder mit Musik
Die Lateintänzer sind vielen Standardtänzern nicht nur punkto Präsentation weit voraus, sondern auch musikalisch: Die Musik wird von den Lateintänzern nie ignoriert. Phrasierung und Polyrhythmik sind für sie keine Fremdwörter, wohl aber für die meisten Standard-Tänzer. Richard Gleave hat als Vorreiter bereits vor rund 25 Jahren die Standardtänzer für das Thema Musik, für Phrasierung und Melodie zu sensibilisieren versucht - aber, man glaubt es kaum, eine Vielzahl der Standard-Paare interessiert sich auch heute noch nicht dafür. Viele Standardtänzer erfüllen nicht einmal die Minimal-Anforderungen, einen ganzen Tanz im Takt tanzen zu können. Dabei wäre dies eine erste Voraussetzung dafür, tiefer in die Materie eintauchen zu können. Der Quickstep ist in allen Kategorien und Klassen nach wie vor das Sorgenkind Nr. 1. Au travail!
Die Kleider
Dieses Jahr besonders aufgefallen sind die wunderschönen Kleider vieler Latein-und Standarddamen. Die Schneiderinnen und Tänzerinnen haben viel Kreativität und guten Geschmack bewiesen, es ist eine Augenweide! Interessant ist der Aspekt, dass es einen grossen Unterschied ausmacht, ob das Geschehen sitzend als Zuschauer oder stehend als Wertungsrichter beobachtet wurde. Für die Sitzenden wirkten die hellen Kleider vor dem dunklen Hintergrund (blau mit roten Fächern) besser, für die Stehenden spielte es keine Rolle, auf dem hellen Parkett kamen alle Kleider gleich gut zur Geltung. Die Kleider sind zwar kein Wertungskriterium, für den Look sind sie aber sehr wohl mit ausschlaggebend.
Nadine Müller
Den Veranstaltern gebührt ein Riesenkompliment und ein herzliches Dankeschön für diese wunderbare Meisterschaft!
Michael Scherer