Vorbemerkung
Eigentlich sind wir nicht die geeignetsten Verfasser dieses und ähnlicher Beiträge, da wir erst seit rund 25 Jahre Zeitzeugen der nationalen und internationalen Turniertanz-Szene sind. Günter Rudacks Tanzkarriere hat aber bereits vor beinahe 60 Jahren angefangen, und da gäbe es natürlich kompetentere Persönlichkeiten und Zeitzeugen als uns, insbesondere auch für die 1960er-Jahre, die als Höhepunkt des schweizer Turniertanzes angesehen werden können.
Aus verschiedenen Gründen wagen wir uns trotzdem daran:
1. hat sich im Verlauf der Jahre durch unser Interesse an den Hintergründen des Turniertanzes (Geschichte, Ereignisse) viel Material angesammelt, aus dem Informationen bezogen werden können
2. haben wir Günter Rudack im Hinblick auf eine geplante Würdigung für ihn in den letzten zwei Jahren mehrmals getroffen, dabei hat er uns nicht nur viele Fragen beantwortet, Fotos ausgeliehen und Filmmaterial überlassen, sondern auch eine druckreife Schilderung seiner Tanzkarriere übergeben
3. haben wir mit unserer Homepage eine ideale Plattform für eine vielfältige Präsentation mit Fotos und Filmausschnitten
Trotz allem werden wir den grossen Verdiensten von Günter Rudack vermutlich nicht gerecht werden können...
Die Anfänge
Günter Rudack wurde am 12. September 1929 in Düsseldorf geboren. Mit 18 Jahren (im Sommer 1947) begann er zu tanzen und bestritt bereits 2 Jahre später sein erstes Tanzturnier (am 8. Mai 1949). 1959 erfolgte der Umzug in die Schweiz und der Aufstieg in die S-Klasse, der er während seiner gesamten weiteren Tanzkarriere ununterbrochen angehören sollte (46 Jahre lang!).
Ursula Rudack
Günter Rudack hat über 30 Jahre lang mit seiner Gattin Ursula Rudack getanzt. Anfangs der 1980er-Jahre konnte Ursula Rudack den Turniertanz jedoch aus gesundheitlichen Gründen nicht weiter betreiben.
1961 + 1962 waren Ursula und Günter Rudack Sieger der Gästeklasse an den Schweizer Meisterschaften
1974, 1975 und 1976 waren sie Senioren-Schweizermeister
Die Gästeklasse in der Schweiz - lesenswert! |
Die Ein-Tanz-Turniere der Tanzschule Kaiser
Originaltext von Günter Rudack: „Über mehrere Jahre hat Walter Kaiser an der Seefeldstrasse Turnierserien veranstaltet, bei denen an 20 (!) aufeinanderfolgenden Sonntagen eines Jahres je einer der 10 Turniertänze (Standard & Latein) getanzt wurde, also zweimal zehn. Das war ein guter Ansporn zum Trainieren... Ich erinnere mich, dass viele Paare daran teilgenommen haben. Ursula und ich haben diese Serien zweimal gewonnen.“
Elf Heinzelmann
Von 1983 bis 2005 hat Günter Rudack mit Elf Heinzelmann getanzt. Sie haben an unzähligen Turnieren im In- und Ausland teilgenommen, u.a.:
15 Mal an den Open British Championships in Blackpool, England
12 Mal an den US Open Championships in Miami, USA (einmal gewonnen)
10 Mal an den Embassy Championships in Los Angeles, USA (ebenfalls einmal gewonnen)
Ihr letztes Turnier bestritten sie am 23. September 2005 in den USA / Hawaii. Am Hawaii Star Ball im Hotel Sheraton Waikiki, in Waikiki / Honolulu ertanzten sie sich in der Kategorie „Open Amateur Multidances Grand Senior“ nochmals einen internationalen Podestplatz (3. Platz). Was für ein schöner Abschluss!
Link zum Veranstalter des Hawaii Star Balls |
Zusammengefasst bedeutet dies 56 Jahre Turniertanz, 40 getanzte Schweizer Meisterschaften, wovon 30 Mal im S-Finale!
Eine nicht zu überbietende Bilanz!
Turniertanzförderung
Günter Rudack war durch und durch ein Freund und Förderer des Turniertanzes. Als Funktionär war er u.a. STSV-Vorstandsmitglied (Ressortleiter Turniere bis 1999), Organisator (gemeinsam mit Elf Heinzelmann) des Höhentrainings und des internationalen Tanzturniers „Coppa Engiadina“ in St. Moritz, Gründer (mit Elf Heinzelmann) und Präsident des Engadiner Tanzsport-Clubs (ETSC) mit Sitz in St. Moritz. Er verfasste unzählige Turnierberichte und liess andere an seinen grossen Erfahrungen teilhaben. Günter Rudack war auch ein Gentleman und repräsentierte auch damit die Schweiz und den Tanzsport hervorragend.
Die nationale und internationale Turniertanzszene verdankt ihm sehr viel. Die STSV-Ehrenmitgliedschaft hat er mehr als verdient!
Das Jahr 2005
Das Jahr 2005 war ein sehr trauriges Jahr für Günter Rudack (und Elf Heinzelmann). Gesundheitlich schon stark angeschlagen, musste er erleben, wie etwas über Jahre Aufgebautes in kürzester Zeit zerstört werden kann. Dies betrifft sowohl das Ende seiner „Coppa Engiadina“ (mangels Sponsoren) wie auch das Ende des Internationalen Tanzfestivals in Chiasso und der Ausschluss des veranstaltenden Klubs CMDT (Club Magic Dance Ticino) aus dem STSV (auf Vorstands- und „Turnierfamilie“- Beschluss). Seine Vermittlungsangebote zwischen dem CMDT und dem STSV wurden vom STSV abgelehnt bzw. ignoriert. Günter Rudack war entsetzt darüber, dass erstmals in der Geschichte des schweizer Turniertanzes die Gerichte bemüht werden mussten.
Auch sein letztes Turnier im September 2005 muss ihn trotz des schönen Resultates sehr wehmütig gestimmt haben...
Die Presse
Über den ersten Meistertitel 1974 von Günter und Ursula Rudack schrieb Friedel Husemann im „SATV-Kurier“:
„Schweizermeisterschaft 1974, Kongresshaus Zürich: ...Im Seniorenfinal waren die Wertungen im Waltz noch etwas unklar, vom Tango an entschied Rudack alle Tänze eindeutig für sich und verwies Klarer, Spahni und Kirchdorfer auf die Plätze 2 bis 4. Damit erstmals Schweizer Meister bei den Senioren das Ehepaar Rudack.“
20 Jahre später wurde in der „Schweizer Familie“ (am 17.3.1994) unter dem Titel „Tanzfieber“ über das Welttanz-Festival in Basel berichtet:
„Von 22. bis 27. März swingt Basel zum Welttanz-Festival. Und liegt im Trend: denn die rhythmische Zweierleier übers Parkett ist ganz gross im Kommen
Text: Sybil Schreiber
Die Luft im Saal ist atemberaubend. Eine Mischung aus Parfüm, Haarspray, Schweiss und Rauch. Zu fetzigem Samba-Sound ab Platte wirbeln acht Tanzpaare im grellen Scheinwerferlicht über den blankgewetzten Parkettboden. Rundherum sitzen an kleinen Tischen die Zuschauer und nippen versunken an Cola oder Clausthaler...
Hüften und Beine werden geschwungen und schwindelerregende Pirouetten gedreht. Da wird getrippelt und gehopst, bis Schweiss und Make up fliessen. Und Tränen. Vor allem dann, wenn die Wertungsrichter erbarmungslos ihre Punkte von 1 (Top) bis 5 (Flop) verteilen. Bei Note 5 heisst’s: runter von der Tanzfläche. Das tut weh. So zischt nach der fatalen Bewertung ein dunkelhaariger Schönling zu seiner Partnerin im rosa Strasskleid: „Hätsch halt müesse lächle!“ Und zwar krampfhaft, wie’s bei Profitänzern üblich ist.
Weniger verbissen gehen Günther Rudack, 65, und Elf Heinzelmann, 58, ans Tanzen ran. Für sie ist die rhythmische Zweisamkeit Lebenselixier und Leidenschaft. Dreimal pro Woche treffen sie sich zum Training – ‚nein, zum Tanzen’, korrigiert Elf Heinzelmann. Der pensionierte Patentanwalt Rudack aus Rüschlikon ZH meint: ‚Ich hab doch keine Lust, nur noch herumzusitzen.’ Das sieht man: Wenn das Duo beschwingt zum Quickstep durch den Übungsraum wirbelt, Wange an Wange tänzelt und hüpft, dann steigt nicht nur die Laune, sondern auch der Puls. ‚Quickstep ist wie Champagner’, jappst die Sekundarschullehrerin Elf Heinzelmann ausser Atem, von steifen Knochen oder müden Gliedern keine Spur...
Ursprünglich tanzten sie mit ihren jeweiligen Ehepartnern durch die Ballsäle Europas. Vor 11 Jahren war Schluss mit der Ehepartner-Tanzerei. ‚Meiner hat auf Volleyball umgesattelt’, meint Elf Heinzelmann. Und bei Rudacks Frau setzte die Gesundheit dem Tanz ein Ende. Für ihn jedoch noch lange kein Grund, auf den Spass zu verzichten. ‚Im Grunde genommen ist meine Frau froh, das ganze Wettkampftheater nicht mehr mitmachen zu müssen’, meint Rudack schmunzelnd. Jetzt reisen Elf und Günther durch die Welt und heimsen kräftig Preise ein. Am anspruchsvollen US-Open wurden sie zweimal Vierte. Und das bei einer internationalen Konkurrenz, die im Schnitt 20 Jahre jünger war. Stolz bemerken sie, dass es schon Spass macht, ‚in unserem Alter andere ins Abseits zu tanzen’.“
In Deutschland gibt es neben den Senioren I, II und III auch Turniere für die „Leistungsstarken 66“, Turniere, an denen Elf Heinzelmann und Günter Rudack ebenfalls teilgenommen haben. Im April 2003 fand eine solches Turnier an der Ostsee statt, und auch wenn Elf Heinzelmann und Günter Rudack nicht daran teilnehmen konnten (in der Rangliste sind sie als entschuldigt aufgeführt), sei der Artikel darüber hier eingeflochten. Er widerspiegelt stellvertretend für viele die Begeisterung eines jüngeren Zuschauers für die „Leistungsstarken 66“:
„TSG Creativ Norderstedt / Die Ostsee tanzt / Impressionen zum Ostsee Tanzsport Wochenende in Heiligenhafen aus der Sicht eines jugendlichen Tänzers
(19./20.4.2003) Es ist erstaunlich wie es Menschen schaffen so dynamisch zu tanzen trotzdem sie 5-mal so alt wie ich sind. Ich sah Senioren im Alter von 35 bis weit über 80 Jahren aus den untersten bis zu den höchsten Leistungsklassen tanzen und bin ehrlich beeindruckt.
Heiligenhafen zu Ostern. Die strahlende Sonne in Kombination mit eisigem Wind sorgte für das Frösteln an der frischen Luft. Doch dies kann einen Tänzer nicht abschrecken und so fanden viele Tänzer aller Seniorenalters- und leistungsklassen aus der gesamten Bundesrepublik in den Kursaal Heiligenhafens. Wie man der Kälte des Windes entgegen wirkt, zeigten die Senioren an zwei Tanzsporttagen. Elegante Langsame Walzer, temperamentvolle Tangos, schwungvolle Wiener Walzer, gefühlvolle Slow Foxtrotts und fetzige Quicksteps präsentierten sie, was sogar einen jugendlichen Tänzer wie mich erstaunen ließ. Ich bewundere solch große Leistungen im Tanzsport noch in so hohem Alter.
Bei all der vielen großartigen Darbietungen zeigte besonders ein über 70jähriger Tänzer wer der Beste auf dem Parkett ist. Bei den Leistungsstarken 66 der Senioren III S Klasse zeigte er mit seiner Partnerin den jüngeren Senioren und dem Publikum, was Tanzen ist und siegte souverän...
Senioren können aber nicht nur gut tanzen, sie können auch gut klatschen. So sorgte die Lateinshow eines clubeigenen Paares für Abwechslung, welche von den Senioren mit großem Applaus und Anerkennung gewürdigt wurde.
Weiter kommt genauso auch von der Jugend gespielte Musik sehr gut an, was die gute Verbindung zwischen Jung und Alt bestätigt.
Es ist schön, wenn verschiedene Generationen durch eine gemeinsame große Leidenschaft zusammenkommen, sich gegenseitig unterstützen und respektieren...“
René Marquardt
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Link zur Rangliste |
Günter Rudacks eigene Schilderung seiner Tanzkarriere
Wie am Anfang erwähnt hat Günter Rudack für uns eine Autobiographie über seine Tanzkarriere verfasst. Sie ist so lebendig, interessant und humorvoll geschrieben und mit vielen interessanten Details versehen, dass sie hier ungekürzt wiedergegeben werden soll. Einzig einige Zahlen mussten angepasst werden (jeweils in Klammern vermerkt), da Günter Rudacks Tanzkarriere danach noch weiter ging:
Turniertanzen seit 1949
25.8.2004
Angefangen hat alles im Sommer 1947, als unsere Schulklasse geschlossen einen Anfängerkurs der Tanzschule Kaechele in Düsseldorf besuchte. Die Stadt lag noch in Trümmern, meine Eltern waren „ausgebombt“. Vor der Währungsreform gab es trotz Bezugsscheinen praktisch nichts zu kaufen. Was also sollte man anziehen, wenn man bedenkt, dass ein Tanzkurs damals noch ein gesellschaftliches Ereignis war? Man lernte nicht nur die Tanzschritte sondern auch noch das feine Benehmen. Ich hatte das Glück, aus einem amerikanischen „Care-Paket“ ein Paar helle Wildlederschuhe mit roten Gummisohlen und einen hellblauen, etwas zu engen Anzug zu bekommen. So ausstaffiert stand ich erstmals den meist 15-jährigen Damen gegenüber, die genau so aufgeregt waren wie ich.
Nach einem Fortgeschrittenenkurs wechselten die Eifrigen von uns in einen Tanzkreis, in dem schon in kleinem Rahmen Turniere stattfanden, die uns die Scheu vor dem grossen Publikum nehmen sollten. Kurz nach der Währungsreform 1948 trat ich dem Rheingold-Casino Düsseldorf bei, einem Tanzturnierklub. Den Mitgliedsbeitrag habe ich mir durch Reparieren alter Radios verdient. Die Besatzungsmächte standen nach Kriegsende aus bitterer Erfahrung dem deutschen Vereinswesen sehr skeptisch gegenüber, insbesondere wenn es sich um überregionale Zusammenschlüsse handelte, die sogar über die Grenzen der Besatzungszonen der Siegermächte hinausreichen sollten. So wurde auch der Zusammenschluss von Tanzklubs argwöhnisch betrachtet, und was wir heute als DTV kennen, nannte sich damals „Interessengemeinschaft Deutscher Clubs zur Pflege des Gesellschaftstanzes“, abgekürzt IPG, so steht es in meinem ersten Startbuch.
Am 8. Mai 1949 startete ich zu meinem ersten Turnier in der D-Klasse mit einem Frack (so schrieb es die damalige Kleiderordnung vor!), den ich von einem beleibten Nachbarn geliehen hatte und mit aus einer alten Lederaktentasche selbstgemachten Tanzschuhen (die haben lange gehalten, mussten aber immer wieder nachgenäht werden). Mit meiner Partnerin hatte ich Probleme, weil ihr Freund nicht glücklich war, wenn sie zum Training ging oder wir zum Turnier auswärts waren. Das Reisen war auch vier Jahre nach Kriegsende noch kein Vergnügen. Viele Strecken waren noch nicht wieder befahrbar, es fehlte noch an Rollmaterial. So war der Fahrplan selbst für Fahrten in Nachbarstädte noch sehr dünn, und wir mussten oft nach dem Turnier die Nacht im Wartesaal oder einfach auf dem Bahnsteig im Freien verbringen, weil der letzte Zug planmässig schon vor dem Ende des Turniers abgefahren war.
Im Oktober 1949 stiegen wir in die C-Klasse auf, aber die Partnerschaft war nicht zu retten. Das kam mir an sich sehr gelegen, weil ich mich längst in eine andere Tänzerin verliebt hatte, die dann auch meine nächste Partnerin wurde: Ursula Dieckmann. Mit ihr, oder besser bei ihr, war ich sehr erfolgreich, denn nicht nur stiegen wir schon im November 1949 in die B-Klasse auf, wir sind seit 1956 miteinander verheiratet. Auch sie hatte natürlich mit der Turniergarderobe ihre Schwierigkeiten. Ende der 40er Jahre waren bei den Damen lange Turnierröcke gefragt. Das bedeutete viel Stoff, lange Stoffbahnen. Woher nehmen? Wer kann sich heute noch vorstellen, dass unsere findigen Partnerinnen damals Gardinen und sogar Fahnen zu Turnierkleidern umfunktionierten?
Mit der Zeit wurde es mir sehr lästig, für jedes Turnier den Frack meines Nachbarn ausleihen zu müssen, obwohl der ihn gar nicht brauchte. Ich besorgte mir ein Schnittmuster, Stoff, Futter und Steifleinen und machte mich an den Selbstbau eines Fracks. Ganz unbedarft war ich nicht, denn während des Krieges, und kurz danach, musste man alle Kleider und Wäsche flicken oder aus zwei Teilen eins machen, und dabei hatte ich schon viel gelernt. Aber einen Frack zum Sitzen bringen, vor allem, wenn man die Arme in Tanzhaltung hebt, ist etwas anderes als irgendwo einen Flicken einsetzen. Ich habe manche Stunde über dem guten Stück geschwitzt und manche Naht ein- oder mehrmals wieder aufgetrennt. Schliesslich konnte ich mich stolz meinen Konkurrenten (und den Wertungsrichtern) präsentieren. Dieser Frack hat mich bis in die Sonderklasse begleitet. Ich habe ihn später für Fr. 20.- an einen jungen Klubkameraden verkauft.
Während des Studiums mussten wir das Training zwar stark einschränken, haben uns aber doch gegen viele unsrer damaligen Konkurrenten behaupten können. Andere zogen an uns vorbei, wie beispielsweise Karl Breuer / Ursula Präger, die als Senkrechtstarter bald zu Deutschen und Weltmeisterehren kommen sollten. Ein Turnier aus dieser Zeit ist mir in besonderer Erinnerung geblieben: Am 4. April 1952 schafften wir in Iserlohn den Aufstieg in die A-Klasse und durften in der S-Klasse weiter tanzen. Dort war am Start das vielfache Deutsche Meisterpaar Otto und Inge Teipel. Wir waren voller Ehrfurcht und haben uns auf der Fläche möglichst klein gemacht, um die Teipels ja nicht zu behindern. Die haben das gar nicht bemerkt, wie „Ötte“ später sagte. Gibt es sonst heute noch einen Aktiven, der schon mit den Teipels zusammen getanzt hat? Otto Teipel ist einer der Gründerväter der IDSF und ihr Ehrenpräsident.
Ab 1953 hatten die Besatzungsmächte zu Deutschland wieder soviel Vertrauen gefasst, dass die Umbenennung der IPG in „Deutscher Amateur-Tanzsportverband e.V.“, heute DTV, wurde. Von 1953 bis zu unserer beruflich bedingten Übersiedlung in die Schweiz 1959 haben wir für den Boston-Klub Düsseldorf getanzt. Hier denke ich vor allem an Carl-Werner (Racker) und Inge Fischer, die schon mit uns für das Rheingold-Casino getanzt haben, später Deutsche Meister in Standard und Latein wurden, und deren schweres Schicksal uns tief berührt (Inge ist seit vielen Jahren im Rollstuhl).
Im November 1959 stiegen wir in die S-Klasse auf, avancierten zum besten Paar in der Schweiz und wurden in den folgenden Jahren vom Schweizer Tanzsport Verband SATV an viele internationale Turniere nach Deutschland, Italien, Österreich, Jugoslawien, etc.) delegiert. Seit 1961 tanzten wir für den Akademischen Tanzklub Zürich.
Im Juli 1960, am Vorabend eines von Maestro Manoni in Venedig organisierten Turniers über neun Tänze sassen die damals Grössten auf dem internationalen Parkett gemütlich beisammen: Karl Breuer, Len Armstrong, Hans-Peter Pfeiffer u.s.w. Als wir dazu kamen, rief Karl Breuer: „Herr Rudack, was wollen Sie denn hier?“ – „Tanzen“ war die lapidare Antwort. Er war mit Recht verblüfft, denn in diesem illustren Feld hatten wir wirklich nichts zu suchen. Was sich dann auch beim Turnier – im Casino auf dem Lido bei strahlendem Badewetter mit nur 20 (!) Zuschauern – zeigte. Als wir im Paso Doble nach einer Kollision mit dem Bretterboden auf den Abtakt kamen und mit endlosen Seitschritten an Wertungsrichter Otto Teipel vorbeikamen, fragte der: „Herr Rudack, was machen Sie eigentlich da?“
Am Tag danach wurden wir mit dem Bus nach Cortina d’Ampezzo hinaufgefahren. Hier hatte es Len Armstrong erwischt: Er vertrug den Höhenunterschied von Null auf 1350m nicht und „stand neben den Schuhen“. Das Turnier fand im Olympia-Eisstadion statt. Auf das Eis hatte man Pavatex-Platten genagelt. Die waren ähnlich glatt wie das Eis. Die Zuschauer konnten wir nicht sehen, weil wir durch die Scheinwerfer geblendet waren. Zwischen den Tänzen (Standard und Latein) wurden die Damen in Wolldecken eingepackt. Übrigens tanzte man damals die lateinamerikanischen Tänze auch in Frack und Standardkleid.
Nach der Geburt unserer Kinder haben wir uns auf das Standardtanzen konzentriert. 1974, damals 45 Jahre alt, mussten wir gemäss Turnierordnung in die Seniorenkategorie übertreten. Dreimal in Folge waren wir Senioren-Schweizermeister. Anfang der 80er Jahre bekam Ursula ernste Probleme mit den Füssen und musste schliesslich operiert werden. Fast 32 Jahre hatten wir zusammen Turniere getanzt, jetzt ging es nicht mehr. Mir fehlte das Tanzen sehr, ich hatte regelrechte Entzugserscheinungen. Wenn man einmal angefressen ist... Wir haben dann eine neue Partnerin gesucht. Mit Hilfe von Ursula Arni fanden wir Elf Heinzelmann, die mit ihrem Mann schon in der Sen S-Klasse getanzt hatte. Das bringt meinen „Konsum“ an Partnerinnen in den letzten 54 Jahren Turniertanz auf ganze drei.
Doch ich muss noch zwei anderen Damen ein Kränzlein winden. Als ich anfangs 1959 in die Schweiz kam, war Familiennachzug nicht möglich. Meine Frau Ursula wollte ohnehin als Gymnasiallehrerin ihre Klassen bis zu den Herbstferien führen. Trudi Schmucki fand für mich eine junge Dame die im Zürcher Niederdorf in einer Art Kloster wohnte; Sigrid Thomma aus Heilbronn. Mit ihr habe ich ein halbes Jahr im Zürcher Tanzklub Schmucki trainiert, was für uns beide von Vorteil war. Ich konnte schon 10 Tage nach Ankunft meiner Frau in Zürich mit ihr gegen die gesamte Schweizer S-Klasse gewinnen, und Sigrid konnte nahtlos mit dem soeben in Zürich eingetroffenen Peter Baas weiter tanzen. Sigrid, heute verheiratete Auerbach, ist unsere gute Freundin.
Die zweite Dame ist Marianne Pickert. Sie war 1961 mit Leo Wehrli Vize-Schweizermeisterin und ersetzte Ursula während zweier Schwangerschaften bei verschiedenen Shows. Sie war für unsere Kinder eine gute Babysitterin, damit wir beruhigt zum Training gehen konnten. Auch mit Marianne verbindet uns eine herzliche Freundschaft.
Mit Elf tanze ich nun auch schon 22 Jahre Turnier (Anm.: Zahl angepasst). Wir tanzen häufig in Deutschland, wo wir in Seniorenkreisen als „die Schweizer“ bekannt sind. Bis ich 69 Jahre alt wurde, haben wir in Deutschland in der Sen I S-Klasse getanzt. Heute sind wir nur noch bei den Senioren II oder III und mit der neuen „Leistungsstarken 66“ aktiv. 15 Mal haben wir in der Seniorengruppe in Blackpool, 10 Mal an den Embassy Championships in Los Angeles (die wir einmal gewonnen haben) und 12 Mal an den US Open Championships in Miami (einmal gewonnen) teilgenommen. Ausser in Deutschland, England und den USA haben wir in Norwegen, Holland, Irland, Belgien, Österreich, Italien, Lettland und Spanien (Mallorca) getanzt und überall viele Freunde gewonnen. Das Wiedersehen mit ihnen ist immer emotional sehr bewegend und fast wichtiger als das Tanzen.
Mit Ursula und Elf zusammen habe ich insgesamt 40 Mal (Anm.: Zahl angepasst) an Schweizermeisterschaften teilgenommen, davon 30 Mal (Anm.: Zahl angepasst) das Finale der Sonderklasse (Hauptklasse und Senioren) erreicht. Einmal – 1969 – konnten wir zum Finale nicht antreten, weil Ursula nach dem Quickstep der Zwischenrunde eine Nierenkolik bekam. In Frack und Turnierkleid fuhren wir ins Spital.
Elf und ich haben als Funktionäre des Schweizer Tanzsport Verbandes viel Zeit für die Verbandsarbeit aufgewendet. Ich war 5 ½ Jahre bis Ende April 1999 Ressortleiter Turniere des Schweizer Tanzsport Verbandes STSV, Elf hat während 5 Jahren die Zuteilung der Schweizer Turniere und den Wettkampfkalender betreut. Seit 1994 haben wir gemeinsam das Höhentraining zuerst noch in Klosters und seit 1995 in St. Moritz organisiert, wo wir in diesem Jahr zum 9. Mal das internationale Turnier um die „Coppa Engiadina“ durchgeführt haben. Um bei den Gönnern und Sponsoren vor Ort für das Turnier einen besseren Stand zu haben, gründeten wir 1999 den Engadiner TanzSport-Club. Viel genützt hat das allerdings nicht.
Nach mehr als 50 Jahren Turniertanzen ist gewiss auch ein Wort zu meinen Trainern angebracht. Ich bin ihnen allen dankbar, vor allem für die Geduld, die sie mit mir hatten. Am Anfang hat mich Gerd Kaechele zum Turniertanzen gebracht, dann haben mich Bruno und Melitta von Kayser betreut, in der Schweiz waren es Walter Kaiser, Marion und Kenny Welch und über fast 25 Jahre Reginald Borrow. Mein besonderer Dank gilt Wolfgang Opitz, der Elf und mir während 20 Jahren geholfen hat, uns den neuesten Trends im Tanzen anzupassen. Heute helfen uns Gianni D’Oria und Sandra Homans, Philip und Sandie Banyer und Heiko Kleibrink und Giselle Keppel. Doch alle diese Europa- und Weltmeister konnten nicht verhindern, dass Leute wie beispielsweise Markus und Karen Hilton schliesslich besser tanzten als wir, obwohl sie noch nicht einmal geboren waren, als ich schon in der S-Klasse tanzte. Irgendwie scheint da bei mir mit der Begabung etwas nicht zu stimmen.
Alles steht und fällt bekanntlich mit der Gesundheit. Ursula hatte Probleme mit den Füssen, Elf und ich haben mehr Glück in dieser Hinsicht, obwohl auch wir beide schon durch gesundheitliche Tiefs gegangen sind, die das Ende des Turniertanzens ganz nahe scheinen liessen, doch haben wir uns bisher immer wieder aufgerappelt. Das Tanzen motiviert eben auch, gegen das Durchhängen anzukämpfen. Wir sind jeden Tag sehr dankbar, dass wir das Tanzbein noch schwingen können.
Wer so lange tanzt wie ich, weiss, wie oft und wie grundlegend sich das Turniertanzen in den letzten 50 Jahren verändert hat, und wie schwierig es ist, die tausendmal geübten Muster aus dem Körper herauszutrainieren und durch die heute „richtigen“ zu ersetzen. Goethe lässt die Engel singen: „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen.“ So wollen auch wir es weiterhin versuchen, obwohl das Alter sich deutlich bemerkbar macht.
Günter Rudack
Wir werden Günter Rudack in liebevoller Erinnerung behalten.
Michael und Evelyne Scherer
Dia-Show von Günter und Ursula Rudack (Windows Media wmv / 810 KB) |
Dia-Show von Günter Rudack und Elf Heinzelmann (Windows Media wmv / 1,35 MB) |
Filmausschnitte von Günter Rudack an der letzten Coppa Engiadina (Windows Media wmv / 7,90 MB) |
Free Download: Windows Media Player for Windows... | Windows Media Player für Mac... |
Günter Rudack auf www.emsbs.ch |
Schweizer Meisterschaft 2003 |
Schweizer Meisterschaft 2004 |
Die letzte Coppa Engiadina |
Ehemalige Promotion der Coppa Engiadina unter „Top Events“ auf den englischen Seite |